Stiller als still

Zwei Leute sitzen in einer Bibliothek und sind in ein flüsterndes Gespräch vertieft. Was sie sagen, kann ich nicht verstehen, weil es nicht für mich bestimmt ist. Ignorieren kann ich es kaum, da Flüstern Geheimnisse vermittelt, die ausgesprochen ungehört den Anschein von Wichtigkeit erwecken. Der banalste Inhalt wird interessant, wenn ein Kommunikationskanal die Hörerschaft begrenzt.

Für fünfzig Cent ziehe ich mir Ohrstöpsel aus einem Kaugummiautomaten. Ich rupfe die rosafarbene Watte ab und forme das enthüllte Wachs zwischen Daumen und Zeigefinger zu kleinen Kugeln. Statt den beiden Schwätzern mit Zuckerwatte den Mund vollzustopfen, stöpsele ich mir Geräuschlosigkeit in die Ohren. Um mich neben den lauten Lärmgeräuschen des Alltags auch noch vom leisen Flüstern abzuschotten, benötige ich einen Extra-Zusatz: Wachs, der in seiner Aufmachung einer süßen Leckerei ähnelt, jedoch angenehme Ruhe verspricht.

Die Stille in meinen Ohren könnte nun der eines Gehörlosens ähneln, wenn da nicht mein nervender Herzschlag wäre, der mir in seiner plötzlichen Wahrnehmung Beklemmungsgefühle einhämmerte. Zugestöpselt bedeutet nicht gleich taub, sondern dumpf verdichtet. Jetzt, wo ich endlich hören kann, was ich selber denke, wenn ich lese, legt die dumpfe Stille die Geschwindigkeit meines Denkens lahm. Da ich immer noch meine Atemgeräusche höre, die so klingen, als ob ich in einen Tiefschlaf falle, empfinde ich diese Ruhe unangenehm. Natürliche Stille hört sich anders an.

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